Ist der Druck besonders groß, bewegen sich plötzlich auch träge Unternehmen und sind zu erstaunlichen Veränderungen fähig. Daher liegt in Krisen immer auch eine Chance, weil sie Innovationen anstoßen, die dringend notwendig und oft sogar überfällig sind. Kaum etwas hat das so deutlich demonstriert wie die Corona-Pandemie, die in diesem Frühjahr umfangreiche Digitalisierungsdefizite in der Wirtschaft offenlegte. Allein um ihren Mitarbeitern die Arbeit zu Hause zu ermöglichen, mussten viele Firmen große Anstrengungen unternehmen – es fehlte an Mobilgeräten, leistungsstarken Netzwerkinfrastrukturen sowie Anwendungen und Services für die Kommunikation und Kollaboration mit Kollegen, Geschäftspartnern und Kunden.
Lösungen für Remote Work existieren seit Jahren, doch so mancher Unternehmenslenker scheute bislang die Investitionen oder sorgte sich um die Produktivität seiner Mitarbeiter. Erst Corona hat vielen klargemacht, dass Remote Work nicht Selbstzweck ist, sondern Bestandteil von Resilienz-Strategien, die ein Unternehmen auch in Ausnahmesituationen handlungsfähig halten. In den vergangenen Monaten ist daher der Widerstand gegen die Arbeit außerhalb der klassischen Büroumgebung gewichen, inzwischen arbeiten doppelt so viele Menschen von zu Hause wie vor der Pandemie, zeigt der Digital Transformation Index von Dell Technologies.
Vier von fünf Unternehmen haben der weltweiten Umfrage zufolge in diesem Jahr ihre digitale Transformation beschleunigt und vor allem in Remote Work und Cybersecurity investiert. Abseits von Client-Lösungen agierten sie dagegen eher zurückhaltend und trieben wichtige Modernisierungsvorhaben im Infrastrukturbereich mangels Ressourcen nicht weiter voran. Angesichts wirtschaftlich unsicherer Aussichten stehen viele Unternehmen auch mit Blick auf 2021 bei IT-Projekten, die nicht unmittelbar mit dem effizienten Arbeiten von Zuhause aus in Zusammenhang stehen, fest auf der Investitionsbremse – und gefährden damit ihre digitale Zukunft.
Im Grunde haben sie das Problem erkannt: Laut dem Digital Transformation Index sind 89 Prozent der Unternehmen der Meinung, sie bräuchten agilere und skalierbarere Infrastrukturen. Diese erhalten sie aber nur, wenn sie wieder ausgewogener und vorausschauender investieren. Hybride Cloud-Infrastrukturen müssen alte Infrastruktursilos ablösen, damit Unternehmen flexibel auf sich ändernde Anforderungen reagieren und die Vorteile der Multicloud nutzen können. Solche Infrastrukturen sind zudem die Basis für neue Services und Geschäftsmodelle, die auf Zukunftstechnologien wie 5G und Edge-Computing aufbauen – und bieten Unternehmen durch As-a-Service-Modelle zusätzlichen Spielraum beim Einsatz ihrer Ressourcen.
Zumindest auf ihrer Agenda der nächsten ein bis drei Jahre haben die meisten Unternehmen das auch stehen und wollen in Multicloud-Umgebungen und Container-Lösungen, Edge-Anwendungen, 5G, KI und Robotics investieren – aber natürlich auch in Cybersecurity sowie Datenmanagement, um das durch 5G und Edge-Computing befeuerte Datenwachstum in den Griff zu bekommen und zu beschützen. Allerdings müssen sie ihren guten Vorsätzen auch Taten folgen lassen und den bislang sehr auf Remote Work konzentrierten Digitalisierungsschwung in andere Bereiche mitnehmen.
Hier kommt es auf die Unternehmensführung an, die Transformationsprojekte entschieden unterstützen muss und nicht, wie beim Homeoffice vor Corona zu oft geschehen, den Bremser geben darf. Das Top-Management sollte zudem in den Aufbau digitaler Skills bei Mitarbeitern investieren und einen abteilungsübergreifenden Austausch zu Erfahrungen in Digitalisierungsprojekten fördern – beides wird heute leider in noch nicht einmal der Hälfte der Unternehmen gemacht. Noch häufiger fehlt es zudem an einer modernen Firmenkultur, in der Fehler als Chance zu Verbesserungen gesehen werden. Ein solches Umfeld brauchen Mitarbeiter jedoch, damit sie ihre Ideen einbringen und neue Lösungen und Technologien erproben können.
Nachdenklich macht mich, dass dem Digital Transformation Index zufolge nur in weniger als einem Drittel der Unternehmen ein Austausch mit C-Level-Führungskräften stattfindet, um Projekte zu identifizieren, die sich für eine Digitalisierung eignen. Das spricht für ein nur geringes Interesse an einem Thema, das höchste Aufmerksamkeit genießen sollte. Die Berufung eines dedizierten Chief Digital Officers oder Chief Data Officers kann in solchen Fällen helfen, die digitale Transformation ganz oben in der Führungsebene zu verankern.